21. September 2023
Heute geht es nochmal richtig in den Regenwald.
Wir wollen die Amazonas FACE-Anlage besichtigen, die ca. 80 km von Manaus entfernt liegt und welche die Pflanzen im Wald einer um 200ppm höheren CO2-Konzentration aussetzen will.
Diese Anlage interessiert v. a. unser Bio-Trio von der JLU Gießen ganz besonders, da sie sich vor dem Hintergrund der Giessen FACE-Anlage für Grünland in Linden-Leihgestern wichtige Informationen und einen interessanten Erfahrungsaustausch zur Frage erhoffen, wie sich erhöhte Treibhausgase auf den Regenwald auswirken.
Zunächst fahren wir mit dem EMBRAPA-Bus ins INPA-Institut und sprechen – während wir eine ganze Weile auf den INPA-Bus für die Weiterfahrt warten – mit Erika, einer INPA-Mitarbeitern mit deutschen Wurzeln. Sie spricht daher gut deutsch. Auf Nachfrage beklagt sie eine zu geringe Finanzausstattung und eine fehlende IT-Infrastruktur (Server, Datenbank). Eine gemeinsame Nutzung der für die Biodiversität wichtigen Grundlagendaten sei daher nicht möglich. Teilweise fehle es sogar an Treibstoff für die Fahrzeuge der insgesamt 60 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Zu uns gesellt sich eine vierköpfige Wissenschaftlergruppe des MPI Jena, die für einen Projektworkshop im ATTO-Projekt angereist sind. Sönke Zähle ist Modellierer und kennt den Ort bereits.
Zunächst geht es über eine gut ausgebaute, geteerte Landstraße, die letzten 32 km in weiterhin rasendem Tempo über eine nasse Urwald-Piste. Mehr als einmal gerät unser Van dabei kräftig ins Schlingern, was allerdings unseren Fahrer, der offenbar die Verhältnisse genau kennt, nicht aus seiner stoischen Ruhe bringt.
Gegen 10.30 Uhr erreichen wir unser Ziel.
Ein Arbeiter der Straßenbaukolonne weist uns vor dem kleineren Gebäudekomplex auf eine Jaguarspur im Schlamm hin, deren Konturen gut auszumachen sind.
Charlos, genannt „Bad“, der Professor aus Manaus, und einige seiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen begrüßen uns herzlich. Gemeinsam gehen wir – mit Sicherheitshelmen bestückt – zu zweien der drei im Aufbau befindlichen FACE-Ringen, die einige hundert Meter voneinander entfernt liegen und die uns Charlos jeweils eingehend erklärt. Es kommt jeweils zu einem regen Wissens- und Erfahrungsaustausch mit Christoph und Gerald. Schnell stellen die FACE-Experten fest, dass sie gleiche Erfahrungen haben – und auch die Chemie stimmt. Man vereinbart, eng in Kontakt zu bleiben und die wissenschaftlichen Erkenntnisse unmittelbar miteinander auszutauschen.
Die Erwartungen werden mehr als übertroffen.
Der absolute Höhepunkt des Tages sollte aber noch kommen!
Wir gehen zu einer im Bau befindlichen FACE-Anlage, die voraussichtlich Ende des Jahres oder Anfang 2024 nach nur einem Jahr Bauzeit in Betrieb gehen soll. Die Planungen dazu laufen allerdings seit 2011.
Es ist beeindruckend, hier mitten im Urwald – zwischen den den Urwaldbäumen eingeklemmt – diese technische Großanlage zu sehen. Sie besteht aus insgesamt 15 Turmkomplexen mit jeweils zwei Rohren für den CO2-Eintrag, die zusammen einen Ring mit einem Durchmesser von 30 m bilden.
Überraschend für uns alle, bietet uns Bad an, die Baustelle und den Regenwald von oben anzusehen!
Bruno ist schon da. Er wirft den Generator an, um den LIEBHERR-Kran in Bewegung zu setzen. Langsam schwebt der gelbe Korb in die Tiefe und landet sanft wenige Meter vor unseren Füßen.
Als erstes dürfen Christoph, Gerald und Tigi in den Korb einsteigen, nachdem das Gurtzeug ordnungsgemäß durch Bruno mit geübter Hand angelegt ist.
Und schon geht es los. Bruno nimmt die Steuerungseinheit, die wie ein Joystick aussieht, in die Hand und zieht die drei Bodenforscher in luftige Höhe.
Es ist ein unbeschreibliches Erlebnis, mit diesem Außenaufzug vorbei an der FACE-Anlage und dem Regenwald auf eine Höhe von 50 m gezogen zu werden – 15 m über den Baumkronen.
Es ist ein gigantischer Blick über den tropischen Regenwald!
Aber damit nicht genug. Ein kurzer Funkspruch, dann Bruno den Korb am Ausleger nach außen. Wieder Stopp und kurzer Funkspruch und schon beginnt sich der Ausleger zu drehen.
In langsamer Fahrt schwebt der Korb und seine menschliche Ladung über den Regenwald!
Wow!!! Unbeschreiblich! Ein einzigartiges, faszinierendes Erlebnis!
Nach einer 360°Drehung geht es wieder zurück und langsam auf den Boden.
Alle, auch die Wissenschaftler/innen aus Jena, erhalten – jeweils zu Dritt im Korb – die Gelegenheit zu diesem erhabenen Spektakel mitten in der unberührten Natur des brasilianischen Regenwaldes.
Fasziniert und tief berührt, auch von der außergewöhnlichen Wertschätzung, die nur wenigen vergönnt ist, gehen wir zurück zur Ausgangsstation.
Dort halten wir etwas inne und nehmen nochmal reichlich Wasser auf. Dann müssen wir uns verabschieden – von Menschen, die uns in kurzer Zeit sehr nahe gekommen sind, was wahrscheinlich nur unter solch außergewöhnlichen Bedingungen möglich ist. Von Menschen, die unter schwierigen Lebensbedingungen – unideologisch – einen besonderen wissenschaftlichen Beitrag zur Klärung von Menschheitsfragen leisten. Und dabei ausgesprochen herzlich und bescheiden sind. Forschung und Wissenschaft at its best! Chapeau!
Kaum zu glauben, aber das Erlebniskonto ist immer noch nicht voll.
Auf der Fahrt zurück, wenige Kilometer nachdem wir von der Urwald-Piste auf die geteerte Straße gewechselt sind, stoppt der Bus an einer Stelle, wo wir Zugang zu Regenwald auf Magerboden haben.
Die Vegetation unterscheidet sich hier von der üblichen im Regenwald. Das ganz Besondere hier sind die sog. Aufsitzerpflanzen wie Orchideen und Bromelien sowie der auffallende Zwergwuchs der Bäume.
Christoph, Gerald und Jakob können sich daran nicht satt sehen. „Unglaublich! Das is ja dä Hammä!“, schallt es immer wieder leicht hessisch durch den Urwald!
Das muss eingehend fotografiert und dokumentiert werden!
Die Zeit drängt, wir müssen zurück. In zügiger Fahrt erreichen wir noch bei Helligkeit unser Hotel.
Um 20.00 Uhr gibt es im Theatro Amazonas ein Konzert, das von Zeit zu Zeit ohne Eintrittsgeld für die Bevölkerung angeboten wird. Man muss nur rechtzeitig da sein, um einen der begehrten Plätze zu ergattern. Das sind wir! Als wir am Theatro ankommen, in die sich auch die Sönke und seine Kolleginnen aus Jena einreihen, ist die Schlange, die auf Einlass wartet noch nicht allzu lang.
Kurz nach 19.00 Uhr beginnt der Einlass. Wir bekommen gute Plätze.
Um 20.00 beginnt das Sinfoniekonzert. Nach einer Einführung auf Portugiesisch wird die 8. Sinfonie von Richard Strauß – extra für uns? – gespielt.
Nach einer Stunde endet diese und es gibt kräftigen Applaus.
Den ganzen Tag haben wir außer dem Frühstück noch nix gegessen. Wir gehen daher auf direktem Wege in das am Theaterplatz angrenzende Restaurant „Tambaqui de Banda“, wo wir noch einen Platz auf dem Balkon mit herrlichem Blick dierekt aufs Theatro bekommen.
Es gibt eine reichliche Auswahl an verschiedenen Snacks und Bier gegen den großen Durst, unten, vor dem Restaurant letzte Tanzeinlagen eines indigenen Paares.
Danach geht es zurück ins Hotel.
Für einige von uns ist der Erlebnishunger offenbar unstillbar geworden. Sie machen noch einen Abstecher in ein auf der anderen Seite des Theotro-Platzes gelegenes Samba-Lokal.
Dieses ist um 22.00 Uhr proppevoll, die Stimmung bei Live-Musik entsprechend brasilianisch.
Was für ein geiler Tag und eine bezaubernde Nacht!